Nivellierung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner in Online-Foren muss nicht sein

Hab ich heute in der Online-Ausgabe der Zeit den Artikel Das Netz trügt von Jens Jessen gefunden (Zeit nehmen zum Lesen, auch die verlinkten Artikel). IMHO ein sehr lesenswerter Artikel, an dem mich allerdings ein Abschnitt gestört hat:

Intellektuelle! Ein schlimmeres Wort hätte niemand in die Internetforen einspeisen können. Im Kern des Netzfanatismus steckt, wie sich zeigte, ein egalitärer Relativismus, der kein Mehr- oder Besserwissen dulden kann. Freilich – zunächst scheint der Impuls nicht unbillig, den Intellektuellen aufzufordern, von seinem Bildungsbesitz zu abstrahieren, um dem Wissbegierigen Teilhabe zu gewähren. Der lerneifrige Dialog gehört zu den schönsten Möglichkeiten, die das Internet bietet. Der Nichtwissende will mit dem Wissenden sprechen – gut! Indes stellt der Nichtwissende für das Gespräch im Netz eine folgenschwere Bedingung: dass es von Gleich zu Gleich geschehe, ja dass der Wissende sich peinlich darum zu bemühen habe, sein Wissen nicht zu zeigen, weil dies diskriminierend wirken könne.
 
Diese Etikette, die verlangt, dass alle sich so dumm stellen müssen wie der dümmste Diskussionsteilnehmer, ist, vorsichtig gesagt, dem Aufbau einer Wissensgesellschaft nicht eben günstig. Sie wäre allenfalls noch, zum Erhalt des sozialen Friedens, angebracht, wenn es sich um den Austausch mit Angehörigen der bildungsfernen Unterschicht handeln würde.

Ich weiß ja nicht, wo sich der Hr. Jessen herumgetrieben hat, aber ich habe da ganz ein anderes Bild von Online-Foren (das Internet hat weder Foren noch Seiten). In den Old-School Foren, in denen die Netiquette noch die Bits werd ist, in denen sie gespeichert wurde, wird der lerneifrige Dialog sowie Mehr- und Besserwissen wie in den „alten Zeiten” gepflegt, eine Nivellierung auf das Niveau der Nichtwissenden findet hier nicht statt.

Anstatt die Nichtwissenden Forderungen stellen zu lassen, fordern die Wissenden von diesen, sich an die Gepflogenheiten des Forums anzupassen, wie man in „Wie man Fragen richtig stellt” (english version) nachlesen kann:

… Trotzdem haben Hacker den Ruf, auf einfache Fragen mit Feindseligkeit und Arroganz zu reagieren. Scheinbar sind wir grob zu Neulingen und nicht Eingeweihten. Das ist aber nicht wirklich der Fall.

Wir verhalten uns allerdings (und das soll keine Entschuldigung sein) feindselig Leuten gegenüber, die nicht willens zu sein scheinen, selbst zu denken und ihre Hausaufgaben zu machen, bevor sie ihre Fragen stellen. Solche Menschen sind ein Fass ohne Boden, sie nehmen, ohne etwas zurück zu geben und verbrauchen Zeit, die mit interessanteren Fragen und Personen, die eher eine Antwort verdient hätten, besser verwendet wäre. Wir nennen solche Menschen „Loser” (manchmal als „luser” geschrieben, oder im deutschsprachigen Raum DAUs, Dümmste Anzunehmende User).

Wenn du dieses Verhalten für widerlich, herablassend oder arrogant hältst, denk noch einmal darüber nach. Wir wollen nicht, dass du vor uns nieder kniest – im Gegenteil, den meisten von uns wäre nichts lieber, dich als Gleichen unter Gleichen zu behandeln und dich in unserer Kultur willkommen zu heißen, wenn du dir die Mühe machst, das zu ermöglichen. Aber es ist für uns einfach nicht tragbar, Leuten zu helfen, die nicht gewillt sind, sich selber zu helfen. Es ist OK, nicht alles zu wissen; es ist nicht OK, sich dumm zu stellen.

Wenn also in einem Online-Forum eine „Etiquette” existiert, , die verlangt, dass alle sich so dumm stellen müssen wie der dümmste Diskussionsteilnehmer, dann liegt dies IMHO an den Forumsbetreibern bzw. Moderatoren und Antwortenden, da sie minimale Standards wie die Punkte aus Wie man Fragen richtig stellt oder die netiquette (de, at, en) nicht einfordern.

Schließen möchte ich allerdings mit einem Zitat aus der alt.sysadmin.recovery FAQ:
6.2) You guys are all meanies/elitist/a bad example/corrupting/fattening
 
Yep!

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[Samstag, 20090606, 13:43 | permanent link | 0 Kommentar(e)

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