Ist der CCC nicht mehr gesellschaftlich relevant?

md1 meinte heute auf Mastodon:

… auf dem #37c3 gab es kaum gesellschaftlich relevanten Content

Also selbst wenn ich die Community-Bühnen, Self-Organized-Sessions, Assemblies und Cluster (Bits und Bäume, …) außen vor lasse und mich nur auf das kuratierte und gestreamte Vortragsprogramm fokusiere, finde ich hier ohne viel Nachdenken gesellschaftlich relevante Themen ohne Ende. Ich muss daher md freundlich aber bestimmt widersprechen.

So etwa der von mir auch in die Diskussion eingebrachte „Breaking ‘DRM’ in Polish trains Talk. Hier meinte md später, der sei nicht mehr relevant, da die Nachrichtenmeldungen dazu gingen vor Weihnachten raus und die Aufarbeitung machen Gerichte. IMHO hängen hier, neben der eigentlichen Geschichte noch zig andere, durchaus gesellschaftlich relevante Geschichten dran. Right to repair, Digital R̶i̶g̶h̶t̶s̶ Restriction Management, e-waste, Geoblocking, usw. und so fort. Hier bräuchte es halt RedakteurInnen, die diese Themen auch aufgreifen und aufarbeiten.

Aber auch Hirne hacken: Hackback Edition (Wir verhandeln mit Erpressern, damit Ihr es nicht müsst), Die Akte Xandr - Ein tiefer Blick in den Abgrund der Datenindustrie oder „Was Digitale Gewalt mit Restaurantkritik zu tun hat” von Anne Roth (*wink*) würde ich als durchaus gesellschaftlich relevant einordnen.

Eventuell bräucht es da halt mal eine journalistische Einordnung, wenn die Relevanz nicht, wie etwa bei „Hacking the Climate – Mit Climate Engineering raus aus der Klimakrise?” oder „Einführung in Smartphone Malware Forensik – Wie man Stalkerware und Staatstrojaner auf Smartphones finden kann” mit der groben Keule schon im Titel kommuniziert wird.

So beispielsweise bei den obligaten „Security Nightmares”.

Screenshot der Slide 'Noch zwei Jahre bis 30 Jahre Macroviren!' mit einem Screenshot der englischen Microosft Word Makro-Warnung

Was wäre hier gesellschaftlich relevanter als beispielsweise ein Golem Artikel über die DAX 100 Unternehmen oder die vielgepriesenen deutschen Mittelstandsunternehmen, die auch noch 2024 unternehmenskritische Prozesse über ein Makro-verseuchtes Excel Sheet abbilden und dessen Zusammenhang mit den Kryptotrojanern, die eben diese Unternehmen lahm legen?

Warum ausgerechnet Golem? Nunja, die haben den Text „Mögliche Gründe für das geringe Medieninteresse am 37C3” veröffentlicht, auf den sich auch md in seinem Mastodon-Tröt bezieht:

der Kommentar von golem hat durchaus recht, auf dem #37c3 gab es kaum gesellschaftlich relevanten Content

Ein Text/Kommentar/IMHO, der meinen Blutdruck zusätzlich zu mds Kommentar nach oben getrieben hat2. Der Golem-IMHO Text verpackt multiple Kritikpunkte in einem Text und das so umschrieben, dass es schwer ist, diese genau zu fassen und zu addressieren. Aber ich versuchs trotzdem.

Rückläufiges Medieninteresse

Ja, „der CCC” (ich gehöre da ja auch dazu) tut sich auch aus meiner Sicht „schwer” im Vorfeld Medienrummel zu generieren. Hier kommt das „Nerddenken” in der Form von „die Themen sprechen sowieso für sich, das ist doch alles offensichtlich, da muss man niemanden mit der Nase drauf stoßen” wieder mal stark durch.
Hier sind BerufspolitikerInnen und der Personenkult um ebenjene sicherlich besser aufgestellt, ein Medienecho zu generieren. Das müssen wir als CCC uns ins Stammbuch schreiben, hier aktiver zu werden.

Digitale Grundbildung unter JournalistInnen

So wusste die Nachrichtenagentur dpa zwar von dem Kongress, sendete aber keinen einzigen Text dazu. […] Die Agentur fand die Vorträge und Diskussionen offenbar nicht relevant genug oder zu technisch, um für ihre Medienkunden interessant zu sein.

Mit diesem Zitat sind wie wieder bei meinem geliebten Thema „Digitale Grundbildung für journalistisch tätige Menschen”. Wenn (Chronik) Redaktionen einen (erwarteten) Ansturm auf einen Online-Dienst als Denial-Of-Service Attacke beschreiben und aus jedem „BenutzerIn klickt auf das falsche Attachment und verschlüsselt das Unternehmen” eine „Hackerattacke” machen, dann fehlt halt auch das Handswerkszeug, der eigentlichen journalistischen Aufgabe – die Themen des 37C3 so aufzubereiten, dass die gesellschaftliche Relevanz offensichtlich wird (siehe oben) – nachzukommen.

Und ich stimme dem Autor des IMHO-Textes zu, dass eine Berichterstattung vor Ort viel Vorteile birgt und begrüßenswert wäre, da eins dann auch bei den Vortragenden Nachfragen stellen kann. Aber, werter Friedhelm Greis, der CCC bemüht sich aktiv, vor allem SprecherInnen jenseits des „alten, weißen Mannes”, eine Bühne zu geben. Wenn Du schon vor Ort bist, Friedhelm, dann schreib doch auch von „Rednerinnen und Rednern” oder „RednerInnen” aber nicht im generischen Maskulinum. Bussi, danke.

Schlechte Arbeitsbedingungen

Zugegeben: Die Arbeitsbedingungen auf dem Kongress waren früher nicht gerade ideal.

Seriöslich?

„Opa erzählt vom Krieg” Warnung

Ich war 2008 als Journalist auf der Cebit in Hannover, damals eine der weltweit größten Messen für Informationstechnik. WLAN gab es da nur gegen Kohle – auch im Pressezentrum. SSL wurde „aus Sicherheitsgründen” geblockt. Bilder der damal neuen 3/5/8/10/11 Megapixelkamera via LAN auf Flickr oder in die Redaktion hinaufladen? ROTFL! Alle Uploads über ein (1!) MB werden geblockt. Ich konnte meine Bilde für die Printausgabe des Magazin, für das ich damals arbeitete, über einen unverschlüsselten SMTP-Zugang hinaufladen, wobei ich die Dateien vorher mit einem Splitter in zig Einzelfiles zerlegen musste, um sie dann getrennt hochzuladen.

Kommt mir doch nicht mit „nicht idealen” Arbeitsbedingungen. OIDA !!!

Aktive Behinderung

Der Text impliziert auch, dass die im Vorfeld kommunizierte Photopolicy (die auch für alle Teilnehmenden gilt) und die Akkreditierungsrichtlinien („Sämtliche Online-Berichterstattung über die Veranstaltung muss frei verfügbar sein, darf also nicht von einer Paywall blockiert werden.”) für die schwächelnde Berichterstattung verantwortlich sei.

FilmGizmo hat mit „All Creatures Welcome” einen ganzen Kinofilm trotz der Photopolicy gestaltet. Da braucht es dann halt mal etwas gewieftere Kameramenschen, um Material zu bekommen. Mastodon ist voll mit Bildern vom 37C3, die der Photopolicy entsprechen – wenn eins will, geht das also ganz problemlos.

Und ad „freie Berichterstattung”:

We but mirror the world. All the tendencies present in the outer world are to be found in the world of our body. If we could change ourselves, the tendencies in the world would also change. As a man changes his own nature, so does the attitude of the world change towards him. This is the divine mystery supreme. A wonderful thing it is and the source of our happiness. We need not wait to see what others do. – Mahatma Gandhi

Das wird üblicherweise als Be the change you want to see in the world. zitiert.

Engagierte Journalisten berichten eher / Politiker ziehen besser

Aus meinem CCC-Verständnis heraus (persönliche Meinung, kein offizielles CCC-Statement) erwartet sich der CCC „mündige”, gut ausgebildete, neugierige JournalistInnen, welche ihre Aufgabe als „Vierte Gewalt” im System der Gewaltenteilung aktiv wahrnehmen. Diese sind leider, wie eins in DE und AT sieht, am Aussterben.

Clickbait Journalismus wie „Die Top 10 Vorträge des 37C3, Talk 5 wird dich überraschen”, „Die Top 10 Hackergadets vom3 37C3”, TikTok aufbereitete Congress-Schnippsel oder die Verbreitung von druckfertigen Artikeln mit rhetorischen Clickbait-Titeln a la „Ist der CCC nicht mehr gesellschaftlich relevant?” ;) über dpa, APA, pressetext, etc. wird meiner Erfahrung nach aus dem CCC (so wie ich das verstehe, ymmv) heraus nicht unterstützt.

Conclusio

Ja, der CCC könnte seine Pressearbeit proaktiver und inklusiver, vor allem gegenüber nicht primär IT-affinen Medien, gestalten. Gerade im Congress-Vorfeld. Das können und müssen wir uns ins Stammbuch schreiben.

Aber weder unsere Foto- noch Akkreditierungspolicy, noch vermeintlich „irrelevanten” Themen am Congress verhindern eine Berichterstattung. Hier wären eher Texte dazu gefragt, warum Medien wie heise, Golem, Futurezone, … ihre IT, Netzpolitik, … Berichterstattung einstellen bzw. zu Gadgetblogs und Klickbait-Fallen umbauen.

Oder warum Chatkontrolle, Gesundheitsdaten, Künstliche Intelligenz, allgemeine Computersicherheit uvm. immer noch in Nischen abgehandelt werden, anstatt entweder endlich in die „etablierten” Ressorts Innenpolitik, Wirtschaft integriert oder als gleichwertiges Ressort etabliert zu werden. Warum liest eins von netzpolitischen Themen, die mittlerweile alle EU-BürgerInnen in ihrem täglichen Leben betreffen mehr auf netzpolitik.org, als in den „etablierten” Medien?

Vor über 40 Jahren gründete sich der Chaos Computer Club. Von Anfang an politisch und immer mit mindestens einem Auge auf den gesellschaftlichen Aspekten der „Komputereinführung”. Aus diesem Selbstverständnis heraus ist der Chaos Communication Congress weiterhin ein Event mit gesellschaftlicher und politischer Relevanz und wesentlich mehr als eine „schaut euch meinen coolen Hack an” Konferenz. Und das ist gut so.

 

Der komplette Text spiegelt meine persönliche Sichtweise wieder und ist KEIN offizielles Statement des CCC – nur falls das nicht sowieso klar gewesen sein sollte.

 

1 Ich hab überhaupt kein Problem mit md. Sein (durchaus legitimer) Tröt hat bei mir halt was im Hirn ausgelöst. Daher dieser Text. Bitte diesen Text nicht als Kritik an md verstehen. Danke.

2 Nicht wirklich. Sowohl der Tröt von md, als auch der Text von Golem sind OK, aber lasst mir doch einfach dieses Stilmittel. :D

3 Der Dativ „des”, welcher hier eigentlich hin sollte, ist AFAIK 2023 nach langem, schweren Sichtum verstorben.

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[Freitag, 20240105, 19:24 | permanent link | 1 Kommentar(e)

Hi
bin ganz Deiner Meinung.

PS Ich spende ein 'e' für Letzte Anmerkung Siechtum

addio

André Igler 2024-01-06 16:41

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